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Markus 4, 26

Liebe Leserinnen und Leser,
heute schreibe ich über etwas vermeintlich Selbstverständliches: Über das Spazierengehen.
Gehören Sie zu denen, die das regelmäßig tun? Gehen Sie einmal am Tag? Oder einmal in der Woche, vorzugsweise sonntags? Gehen Sie allein oder zu zweit oder mit der ganzen Familie und dem Hund? Gehen Sie bei Wind und Wetter oder bleiben Sie lieber drinnen, wenn es regnet oder schneit? Im Lockdown war für viele Menschen der gemeinsame Spaziergang mit einer lieben Begleitung der Höhepunkt des eintönigen Alltags im Homeoffice.
Das Spazierengehen. Manche sagen: Es wirkt wie eine Medizin. Andere sagen: Es macht aufmerksamer, es entschleunigt, manchmal beruhigt es auch nur oder macht einfach Spaß. Spazierengehen eröffnet neue Gedankenräume: Erstaunlich, denn man denkt oft, man kenne alles in seiner täglichen Umgebung und kann doch bei einem kleinen Gang etwas Neues entdecken. Anders sein, neu sehen - das ist besonders über Verlangsamung möglich.
Vor diesem Hintergrund klingen die Worte der Bibel aus dem Markusevangelium 4,26-28:

Und Jesus sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht, wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.

Zu Wort kommt hier das Vertrauen darauf, dass Langsamkeit, dass Wahrnehmen und Geschehenlassen nicht nur Zeit schenken, sondern ein gutes Ergebnis schenkt, nämlich Frucht bringt. Der Bauer im Gleichnis weiß, dass er zur rechten Zeit säen muss und dass er sich Zeit nehmen muss, wenn er gesät hat. Die Halme wachsen von allein. Wenn man das Sprachbild Jesu überträgt, heißt das: Das eine gehört zu unseren Aufgaben und das andere in den Bereich Gottes.
Gottes Reich kommt von allein und wir wissen nicht wie. Es ist gut, das zu unterscheiden. Auch wenn es so aussieht, als sei die Ernte ein Erfolg des Bauern. Das Eigentliche, das Wachsen und Fruchtbringen bewirkt Gott.
Manche Dinge müssen reifen, sonst werden sie nichts.
Wir vermessen die Welt und denken, wir hätten sie begriffen.
Entgegen dieser einseitigen Sicht der Wirklichkeit wirkt Gott im Verborgenen. Die angemessene Haltung dazu ist wahrnehmen und staunen. Staunen heißt: sich überraschen zu lassen, mit Wundern zu rechnen. Was Gott tut, entzieht sich unserem Zugriff. Jesus erwartet und verkündet, dass ein besseres, neues Leben beginnt, in dem Raum und Zeit einen anderen Stellenwert haben als jetzt. Dieses Gottesreich kommt von allein. Diese Glaubenssicht nimmt den Druck von den Schultern und gibt Luft zum Atmen. Sie entlastet den Menschen, der meint, aller Erfolg hinge allein von seinem Mühen ab. Diese Glaubenssicht ist eine Entlastung für alle, die sich in einem schmerzhaften Konflikt befinden und meinen, alles müsse schnell wieder gut sein.
Gott schenkt Zeit zum Wachsen und Gedeihen. Unser ganzes Leben - mal geprägt von Vertrauen, mal geprägt von Fragen und Zweifeln - ist ein Einüben in die Zeit Gottes. Ein lebenslanger Gang, der uns entdecken lässt, was Gott mit uns zu tun hat und was er von uns möchte. Bleiben Sie behütet und gesund, herzliche Grüße, auch aus dem Kollegenkreis,

Ihre Pfarrerin Annette Schulz
Juli 2021